Berufserfahrung ist nicht alles! Bei diesem Satz werden mir wohl einige widersprechen, gilt die Berufserfahrung heute doch als eines der wichtigsten Maße dafür, wie gut man in seinem Job ist. Als ein vergleichsweise junger Freiberufler in der Entwicklung und Beratung im SAP-Umfeld merke ich häufig, dass diese Denkweise noch sehr stark verankert ist. Natürlich ist Berufserfahrung wichtig. Dennoch möchte ich mit diesem Beitrag eine breitere Perspektive auf dieses Thema eröffnen und auf einige Fähigkeiten eingehen, die für einen guten Berater ebenfalls von großer Bedeutung sind.
Welche Rolle spielt Lernbereitschaft?
Die SAP-Welt ist sehr komplex. Neben der breiten Auswahl an Funktionen eines einzelnen Moduls existieren schier unendlich viele Basis-Tools, die zur Abbildung von Geschäftsprozessen verwendet werden können, wie dem SAP Business Workflow, der Druck-Workbench und der SAP Query, um nur ein paar davon zu nennen. Dazu kommen viele neue Technologien, wie die Integration von AI, Fiori und die Business Technology Platform (BTP). Und als wäre das nicht genug, entwickeln sich viele dieser Tools und Technologien laufend weiter, um auf die stetigen Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren. In diesem Kontext wird häufig der Begriff der VUCA-Welt verwendet (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity). Infolgedessen ist es unmöglich ist, immer und überall auf dem Laufenden zu bleiben.
Hier kommt das Thema kontinuierliche Weiterbildung ins Spiel. Dafür ist eine Haltung des lebenslangen Lernens wichtig, denn effektives Lernen ist nur möglich, wenn es Spaß macht. Als ersten Schritt benötigt man Transparenz über bereits eingetretene oder bald anstehende Neuerungen. Dazu kann man einfach regelmäßig recherchieren, aber mir persönlich helfen dabei Abonnements von interessanten Seiten auf LinkedIn oder von Fachmagazinen. Auf dem Laufenden zu bleiben ist deutlich einfacher, wenn man nicht erst aktiv auf die Suche nach Informationen gehen muss, sondern automatisch mit diesen konfrontiert wird und man sich alle wichtigen Informationen herausfiltern kann. Automatisierung ist nicht nur in Business Prozessen, sondern auch im persönlichen Lernprozess wichtig. Außerdem hilft ein intensiver Austausch mit Kollegen in Communitys dabei, über aktuelle Trends auf dem Laufenden zu bleiben.
Da die Masse an Neuerungen in der Regel zu groß sein wird, um sich mit allem näher zu befassen, sollte man sich auf die wichtigsten und größten Neuerungen beschränken. Modernste technologische Möglichkeiten zu kennen und anwenden zu können, steigert die Qualität der Beratung enorm, denn solche Innovationen ermöglichen es den Kunden, Wettbewerbsvorteile zu erschließen. Auch ein Blick über den Tellerrand ist wertvoll: Wie werden in anderen Branchen Probleme gelöst und kann ich daraus generelle Erkenntnisse gewinnen?
Doch auch bei kontinuierlicher Weiterbildung gilt: Man kann nicht alles wissen. Das trifft bei 5 Jahren Berufserfahrung zu, aber genauso bei 20 Jahren. Von Bedeutung ist, wie man mit Wissenslücken und den damit verbundenen Herausforderungen umgeht und dass man darin Chancen begreift, zu wachsen. Resignation führt zu einem Stillstand bei der persönlichen Weiterentwicklung und manchmal auch zu Betriebsblindheit bei erfahrenen Beratern. Nur zu versuchen, bei jedem Kunden immer wieder die gleichen Lösungen zu implementieren, anstatt sich auf ein anderes Umfeld einzulassen und neue Perspektiven in die Problemlösung einzubringen, bringt dem Kunden nur einen begrenzten Mehrwert.
Wie wichtig sind Analytisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten?
Das analytische Denken ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Beraters. Nur durch eine strukturierte Herangehensweise an die Analyse ist es möglich, zum Kern eines Problems vorzudringen. Oft schon habe ich erlebt, dass bei Problemen eher an den Symptomen gearbeitet wird, anstatt sie bei der Wurzel zu packen. So werden auf suboptimalen Prozessen weitere Prozesse implementiert, damit das Gesamtkonstrukt irgendwie funktioniert. Das Ergebnis sind komplizierte und komplexe Prozesse, die für die Fachbereiche in hohem Aufwand resultieren und teuer im Betrieb sind, da die starken Abweichungen von der Standardsoftware zu wartungsintensivem Code und Customizing führen. Gerne entstehen bei der Entwicklung solcher Lösungen Kopfmonopole und damit das Risiko, dass die Lösung durch Kündigungen oder Pensionierungen mit der Zeit immer unbeherrschbarer wird.
Na, dann bauen wir doch einfach eine schlankere Lösung?! Das klingt einfacher, als es ist. Dazu ist es notwendig, das Gesamtkonstrukt in der Tiefe zu verstehen, um eine Lösung zu entwickeln, die mit minimalen zu dem erwarteten Ergebnis führt. Es gibt Anforderungen, die lassen sich nicht einfach umsetzen, doch auch dann reichen manchmal minimale Änderungen an den Anforderungen, damit ein zufriedenstellendes, kostengünstiges und wartbares Ergebnis erzielt wird. Der Wert in einer Implementierung liegt meist in ihrer Einfachheit.
Wie weit kommt man ohne Teamarbeit und Kommunikation?
Projekte sind oftmals komplex und es sind viele Stakeholder zu berücksichtigen. Deshalb ist es wichtig, Ideen und Lösungsvorschläge konkret und verständlich präsentieren zu können, damit es keine unnötigen Missverständnisse gibt, die im Projektalltag aufhalten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Stakeholder einen unterschiedlichen technischen oder fachlichen Background mitbringen und je nach Zielgruppe mehr oder weniger ausführliche Erläuterungen notwendig sind. Es kostet zwar manchmal etwas Zeit, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, aber es lohnt sich.
Die besten Lösungen entwickelt man in der Regel nicht allein, sondern im Team. Eine gute Teamdynamik fördert den Spaß an der Arbeit und vier Augen sehen immer mehr als zwei. Ich habe in diesem Zusammenhang schon sehr gute Erfahrungen mit Pair Programming und Pair Customizing gemacht. Neben einem intensiveren Austausch im Team hat dies ein paar weitere positive Nebeneffekte, zum Beispiel, dass man von den Stärken des jeweils anderen lernen kann, dass potenzielle spätere Probleme früher erkannt und diskutiert werden und sich somit Projektrisiken verringern, dass implizit ein Wissenstransfer stattfindet und dass bei (ungeplanten) Abwesenheiten einzelner Teammitglieder weniger Wartezeiten entstehen. Die positiven Effekte wiegen meiner Erfahrung nach den vermeintlichen „Mehraufwand“ mehr als auf.
Wie wichtig sind Anpassungsfähigkeit und Flexibilität?
In Projekten läuft nicht immer alles nach Plan. Unerwartete Herausforderungen und Änderungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Hier zeigt sich, wie wichtig Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sind. Die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren, ist essenziell, um unter Druck effektiv arbeiten zu können und schnell passende Lösungen für die veränderte Situation zu finden. Noch besser ist es, nicht erst abzuwarten, bis die Veränderungen oder Probleme offensichtlich sind, sondern diese frühzeitig zu erkennen und zu berücksichtigen und die weitere Vorgehensweise daran anzupassen. Pläne sind selten perfekt, deshalb sollte man daran nicht unnachgiebig festhalten, wenn sich wesentliche Grundannahmen geändert haben.
Fazit
Berufserfahrung ist zweifellos wertvoll und unverzichtbar in der SAP-Beratung. Doch in einer sich ständig wandelnden Technologiewelt sind Softskills wie Lernbereitschaft, analytisches Denken, Kommunikationsfähigkeiten, Teamfähigkeit und Anpassungsfähigkeit mindestens genauso wichtig. Mit diesen Fähigkeiten gelingt es, stets am Zahn der Zeit zu bleiben, keine technologischen Entwicklungen zu verschlafen und bei seinen Kunden zuverlässig zufriedenstellende bis begeisternde Ergebnisse zu liefern und dabei sogar eine Menge Spaß zu haben. An diesen Softskills sollte man als Berater somit stets arbeiten und Routinen in den Berufsalltag integrieren, die bei ihrer Verbesserung unterstützen. Dann klappt es auch mit dem nächsten Projekt!
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